Das Thema der Ausstellung, „Konstellationen des Möglichen“, wurde von Kurator Karlheinz Pichler bewusst so gewählt, dass es den teilnehmenden KünstlerInnen ein großes Maß an Gestaltungsfreiraum offen lässt. Der Begriff kann dabei in der Vergangenheit ansetzen, im Sinne von Begonnenem und Angefangenem, oder rein in die Zukunft gerichtet sein, wenn es etwa um neue Wege, Perspektiven und Aussichten geht, auf die verwiesen werden kann. Dazu zählen auch Aufbrüche, wobei man dabei durchaus auch an die Anfangszeilen eines Gedichtes von Ludwig Thiek denken könnte: "Keinen hat es noch gereut, der das Ross bestiegen." (Ludwig Tiek: „Aufmunterung“), der damit zum Reisen auffordern will, um Neues zu entdecken. Das hat im Wesentlichen auch mit „Heimat“ als Ursprung zu tun. Denn die innere und äussere Heimat ist immer nur ein Ausgangspunkt. Wer zu neuen Ufern gelangen will, muss das Risiko des Aufbruchs auf sich nehmen. In jeglicher Hinsicht. Entsprechend kann eine Reise genauso nach innen wie nach aussen führen.
Oder, aus philosophischer Sicht: Nach Auffassung des Existentialisten Martin Heidegger ist das von Künstlerhand geschaffene Werk sinngemäss derjenige Ort, an dem und in dem sich das Wechselspiel zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit vollzieht.
Und Möglichkeit impliziert immer auch Veränderung. Wobei der Faktor Zeit als eine absolute Triebfeder angesehen werden kann. Indem sich der Mensch auf einem linearen Weg durch die Zeithorizonte bewegt, glaubt er beständig, Vergangenheit hinter sich zu lassen, und mit dem Abstand der jeweiligen Gegenwart verfällt der Orientierungswert aller in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen. Die Zukunft erscheint dabei als offener Horizont von Möglichkeiten, auf den sich der Mensch hin bewegt. Zwischen dieser Zukunft und jener Vergangenheit verengt sich die Gegenwart zu einem „nicht mehr wahrnehmbar kurzen Moment des Übergangs“. (Charles Baudelaire) (Vgl. dazu Hans Ulrich Gumbrecht: Vergangenheit denken. Aus: Konstellationen, 2011)
Nachfolgend in alphabetischer Reihenfolge ein paar Einblicke, was die oder der andere KünstlerIn im Rahmen der Ausstellung zeigt:
Gottfried Bechtold:
Bechtold hat sich in der Zeit des „Shutdowns“ quasi selbst einen Malkurs verschrieben. Zehn bis zwölf Stunden pinselte er täglich mit Ölfarben unter anderem Tierbilder auf die Leinwand. Rund 200 Tierbilder sind entstanden und alle im Format 20 mal 20 Zentimeter, da wir uns ja im Jahre 2020 befinden. Unter den Tiermotiven befinden sich heimische wie etwa Esel, Hühner, Schwäne oder Kühe sowie auch exotische wie Affen, Nilpferde oder Giraffen. Eine Auswahl von 15 sind in der Artenne zu sehen. Ausserdem malte er auch Flugzeugabstürze. In antiquarischen Läden hat er verstaubte Landschaftsgemälde erstanden, und in die dort dargestellten Szenerien spektakuläre Abstürze hineingemalt. Drei Beispiele sind ebenfalls in Nenzing präsent. Flugzeugabstürze haben ihn übrigens schon immer interessiert, das belegen unzählige Zeichnungen aus früheren Jahren.
Melanie Berlinger:
Sie zeigt botanische Illustrationen, bei denen es keine direkte Auflage gibt. Es gibt von jeder Platte mehrere Abzüge, aber jedes Blatt unterscheidet sich vom anderen. So gibt es z.B. den Ahornsamen coloriert, mit China Collage, auf marmoriertem Papier, usw. Hier kann die "Konstellation des Möglichen" als eine technische Herangehensweise gesehen werden - das ausloten von Möglichkeiten, die die Technik des Tiefdrucks bietet.
Detailgenaue Zeichnungen von Pflanzen und Pflanzenteilen spielen in der Botanik nach wie vor eine große Rolle. Auch modernste Möglichkeiten der Fotografie und Bildbearbeitung können die Kunst der Botanischen Illustration nicht ersetzen. Botanische Illustration ist im Spannungsfeld zwischen Natur, Forschung und Kunst angesiedelt. All diese Kategorien bedingen sich gegenseitig und stellen Ressourcen füreinander dar. Sie können als einander zuarbeitende Sphären verstanden werden, welche sich mischen und einen Hybrid erzeugen.
Cornelia Blum-Satler:
„Voradelbergisch“ (Alte Leinentücher bestickt, 2020)
Mit rotem Faden in altes Leinen gestickt, finden Dialektsätze wie: „an ghöriga Abstand“, „dahoam blieba“, „Händ wäscha und abtröckna“, „An richtiga Duranand“ Platz auf alten Geschirrtüchern. Auf den ersten Blick sind es gebräuchliche Phrasen aus dem Vorarlberger Sprachgebrauch, dem Heimatdialekt. Bei näherem Betrachten weisen sie auf eine Zeit hin, welche unseren Alltag ordentlich auf den Kopf gestellt hat.
Alois Galehr:
Alois Galehr ist in „Konstellationen des Möglichen“ mit den fünf ersten und den fünf letzten Aufnahmen der Serie „Pandemische Zwischenzeit Venedig“ zu sehen. Die A5 formatigen Fotos auf Alludibond resultieren auf regelmässigen Beobachtungen des Bacino di S. Marco in Venedig während des Shut Downs mit Hilfe einer Webcam. Dazu der Künstler: „Die Initiative 'No grandi navi' freut sich über das Ausbleiben der Monster-Schiffe, zumal bis Ende des Jahres. Die Leidtragenden, wie Gondolieri und andere Gewerbetreibende bangen um ihre Existenz. An 133 aufeinanderfolgenden Tagen, beginnend mit dem 5. April 2020, entstand so eine Serie von Handyfotografien und Screenshots. Das Letzte entstand am 15. August (Ferragosta). Manche Veränderungen zum Bild des Vortags werden mit Stecknadeln gekennzeichnet und verweisen auf eine mögliche Verbesserung der Situation. A presto a Venezia.“
Harald Gmeiner:
Gmeiners Beitrag übertitelt sich „Mit den Ohren sehen – Mit den Augen hören“.
Was dahinter steckt: Wer das Mögliche erfahren will, muss Gewohntes verabschieden. Das Risiko des Aufbruchs beinhaltet daher die Wahrnehmung zu schärfen und neu zu verorten. Über das Bekannte und Mögliche hinauszugehen. Zwei Thesen des Möglichen sind bildhaft stellvertretend für das Risiko des Aufbruchs formuliert.
Harald Grünauer:
Harald Grünauer setzt sich mit dem Raum-Zeit-Gefüge zwischen „realen“, imaginierten und archetypischen Welten auseinander. Seine Universen haben weder Anfang noch Ende, Vergangenheit und Zukunft fließen simultan ineinander – so, wie wir uns ständig bewusst oder unbewusst auf vielen verschiedenen Zeitebenen bewegen, die sich permanent überkreuzen.
Thomas Hoor:
Von ihm sind Aktbilder (Öl auf Papier) und andere Konstellationen wie etwa ein Mann mit Gewehr im Schützengraben oder eine Pilzformation, die an einen Atompilz gemahnt, zu sehen.
Michael Mittermayer:
Der in Bings lebende und arbeitende Künstler Michael Mittermayer stellt drei kleinen Arbeiten aus dem Jahr 1997 eine Arbeit aus dem Jahr 2020 gegenüber. Alle Arbeiten haben unterschiedliche Heimaten als „Orte der Erinnerung“ und sind zugleich Verweis auf die Faktoren Zeit und Heimat sowie Möglichkeiten und Kontinuität.
Norbert Pümpel:
Von Norbert Pümpel sind drei Arbeiten auf Papier (jeweils Pigment, Acryl und Tusche auf Arches Bütten) zu sehen, die einen physikalisch-philosophischen Hintergrund haben, respektive auf den Philosophen Ludwig Wittgenstein referenzieren. Darunter etwa das Werk „Zwei Gegenstände von der gleichen logischen Form sind – abgesehen von ihren externen Eigenschaften – von einander nur dadurch unterschieden, dass sie verschieden sind.“ (Wittgenstein-Zitat). Desweiteren ist von ihm ein knallrotes Würfelobjekt aus der Serie „Zivilisation I“ ausgestellt.
Ruth M. Rhomberg-Malin:
Neben Objekten aus Flügel-Saiten wartet die Künstlerin mit ganz neuen Tuschezeichnungen auf, die das Vibrierende der Zeit aufs Korn nehmen. Rhomberg-Malin: „Strich für Strich formt 'ES' sich zu einem Rhythmusgebilde in einem Zeichenrausch. Abgespeichertes verbildlicht sich, bis der letzte Strich ohne Unterbrechung gesetzt ist. Die rote Tusche unterstreicht das Pulsierende Sein. Das Sein im Moment, eine Sekunde später könnte alles anders sein.“
Dorothea Rosenstock/ Franziska Stiegholzer:
Die beiden Künstlerinnen haben im Rahmen des Impulstages (30.8.) vor Ort aus Dichtungsbändern ein Netz geknüpft, das als Installation, die sich über drei Stockwerke zieht, in die Ausstellung Eingang gefunden hat.
Manfred Schlatter:
Manfred Schlatter ist mit drei Schwarzweißfotos in der Ausstellung präsent. Die Fotos entstanden während des Lockdowns im April 2020. Schlatter hat verwaiste Orte von Schruns aufgesucht und sie fotografisch im Bild festgehalten und dokumentiert.
Veronika Schubert:
Von Veronika Schubert wird im Rahmen der Ausstellung der Trickfilm „Contouring“ (2019) gezeigt, der kürzlich beim Vienna Shorts Festival mit dem ORF.at-Publikumspreis auszgezeichnet wurde und auch bei der diesjährigen Alpinale lief.
Basis für „Contouring“ bilden mit Kohlepapier nachgezeichnete Textilmuster. Wechselnde Patterns aus blauen und weißen Quadraten, die sich im Verlauf des Films vervielfältigen und neu anordnen, bis sie sich schließlich zu animierten Mosaiken zusammenfügen: zu Bildcollagen, in denen sich Konturen und Flächen weiblicher Gesichter abzeichnen. Zu den Pixelköpfen montiert Schubert eine Toncollage aus Influencer-Lifestyle-Tipps und Beauty-Tutorials entnommenen Schminkanleitungen. In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit Schönheitsstandards und Geschlechterrollen verzichtet Schubert auf die realistische Abbildung von Körpern. Stattdessen exponiert sie Schönheit und Weiblichkeitsbilder als soziale Konstrukte. Bricolagen, die sich aus einer Vielzahl immer und immer wieder (medial) reproduzierter Strukturen zusammensetzen.
Monika Thomas:
Die aus Nenzing stammende und seit 1987 in Westaustralien lebende Monika Thomas beschäftigt sich künstlerisch seit zwei Jahrzehnten mit Themen wie Natur, Umwelt und Migration. In der Artenne zeigt sie mit „Mercy“ und „Failure“ unter anderem zwei Objekte aus Plexiglas und Blattgold aus dem Zyklus „Kinship Within Crea.on“, die auf die Auseinandersetzung der Künstlerin mit Franz von Assisi zurückgeht.
In einem weiteren Beitrag mit dem Titel „Not With Us Anymore (Work in Progress), den sie zusammen mit Tea Mäkipää entwickelt hat, präsentiert sie 7 Todesanzeigen auf Italienischem Porzellan. Mit diesem internationalen, not-for-profit Projekt, möchten die Künstlerinnen Tiere, die jährlich millionenfach schuldlos und ungesehen auf unseren Straßen überfahren und getötet werden, sichtbar machen. Mit Hilfe von Fotos, inklusive Beiträgen von freiwilligen „Zeugen“, entwerfen die Künstlerinnen, in Anlehnung an die Todesanzeige, post-mortem, Gedenktafeln für die toten Tiere.
„Wir trauern um Wesen mit einzigartigen Geschichten“, so die Künstlerinnen.
Alexandra Wacker:
Alexandra zeigt neben schwarz-weissen Ölbildern von Wiener Flaktürmen grossformatige Parklandschaften in schwarzer Tusche. Die durch ihre Ungerahmtheit sehr unmittelbar wirkenden Papierarbeiten öffnen wie Bühnenbilder den Blick in eine mystische, geheimnisvolle, schemenhaft dargestellte Landschaft.
Stefan Waibel:
Unter dem Titel „Mariahimmelfahrt“ wartet Stefan Waibel mit einer weiteren Skulpturenanordnung zu seiner Reihe „Ideal Nature Machine“ auf. Die brandneue Installation besteht aus Elektromotoren, Rotoren, UV-Lampe, Kerze sowie einem Elektromotoren, Rotoren, UV-lampe, Kerze sowie einem mit fluoreszierendem Lack bearbeiteten Zirbenholzrohling.
Factbox:
Konstellationen des Möglichen
Gottfried Bechtold, Melanie Berlinger, Cornelia Blum-Satler,
Harald Gmeiner, Harald Grünauer, Alois Galehr, Thomas Hoor,
Michael Mittermayer, Norbert Pümpel, Ruth Rhomberg-Malin,
Dorothea Rosenstock/ Franziska Stiegholzer, Manfred Schlatter,
Veronika Schubert, Monika Thomas, Alexandra Wacker, Stefan Waibel
Wo: Artenne Nenzing
Wann: 5.9. bis 11.10.2020
Kurator: Karlheinz Pichler
Eröffnung: 5.9., 18.00 Uhr (20.00 Uhr Konzert mit Mose)
Öffnungszeiten: jeweils Mi u. So 16-19, u.n.V.
www.artenne.at
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